BOTSCHAFT ZUM WELTTHEATERTAG

Veröffentlicht von ÖBV Theater am in AKTUELL

Botschaft zum Welttheatertag 2020
Internationales Theater Institut ITI
Weltweite Organisation für Darstellende Künste
Shahid Nadeem, Autor, Pakistan
27. März 2020


SAHID NADEEM … (Bild:https://www.iti-germany.de/home/)

… ist der bekannteste Theaterautor Pakistans und Leiter des berühmten Ajoka-Theaters.
Shahid Nadeem wurde 1947 in Sopore in Kaschmir geboren. Als seine Familie nach dem Krieg von 1948 zwischen Indien und Pakistan um den strittigen Status von Kaschmir ins neugebildete Pakistan migrieren musste, wurde er im zarten Alter von einem Jahr zum Flüchtling. Er wohnte in Lahore (Pakistan) und machte dort an der Universität Punjab seinen Master in Psychologie.

Sein erstes Theaterstück schrieb er als Student, wurde aber hauptberuflich Theaterautor, als er anfing, aus dem politischen Asyl in London Stücke für die pakistanische Dissident*innen- Theatergruppe Ajoka zu schreiben, gegründet von Madeeha Gauhar, einer Theateraktivistin der ersten Stunde, die er später heiratete.


Unter verschiedenen Militärregierungen war er aufgrund seiner Opposition gegen Militärherrschaft dreimal im Gefängnis und wurde von Amnesty International als Prisoner of Conscience geführt. Im berüchtigten Gefängnis von Mianwali begann er, Wochenendstücke zu schreiben, die von und für Insass*innen aufgeführt wurden.                                                                                                                                                                                 Später arbeitete er als International Campaigns Coordinator und Asia-Pacific Communications Officer für Amnesty International. Er war Forschungsstipendiat beim Getty Research Institute, bei International Pen, USA sowie beim National Endowment for Democracy. Außerdem ist er Mitglied des Netzwerks Theatre Without Borders.
Nadeems Stücke sind bekannt für ihre gesellschaftlich relevanten, auch tabuisierten Themen wie religiöser Extremismus, Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung von Minderheiten, Meinungsfreiheit, Klima, Frieden und Sufismus. Mehrere seiner Stücke behandeln die Teilung Indiens und das gemeinsame kulturelle Erbe der Region.


Theater als Schrein (Deutsch – Gekürzte Version)


Nach dem Ende einer Vorstellung des Ajoka-Theaters über den Sufi-Dichter Bulleh Shat kam ein alter Mann zum Darsteller des großen Sufi. Der alte Mann war in Begleitung eines Jungen. „Meinem Enkel geht es sehr schlecht; würdest du ihm wohl einen Segen aufblasen.                                                                                                       “ Der Schauspieler war verwirrt und sagte: „Babaji, ich bin nicht Bulleh Shah, ich spiele diese Rolle doch nur.“ Der alte Mann sagte: „Mein Sohn, du bist kein Schauspieler, du bist die Reinkarnation von Bulleh Shah, sein Avatar.“

Da ging uns plötzlich ein ganz neues Verständnis von Schauspielen, von Theater auf, bei dem Schauspielerinnen die Reinkarnationen ihrer Figuren werden.
Geschichten wie der von Bulleh Shah – und davon gibt es so viele in so vielen Kulturen – können eine Brücke sein zwischen uns, den Theatermachern und dem unerfahrenen aber enthusiastischen Publikum.           Während wir auf der Bühne stehen, lassen wir uns manchmal von unserem Konzept von Theater mitreißen, von unserer Rolle als Vorboten sozialen Wandels, und dabei hängen wir einen großen Teil der Menschen ab.

Bei allem Engagement für die Herausforderungen der Gegenwart berauben wir uns der Möglichkeiten einer zutiefst bewegenden, spirituellen Erfahrung, die Theater bieten kann. In einer Welt, in der Heuchelei, Hass und Gewalt wieder auf dem Vormarsch sind, und unser Planet immer tiefer in eine Klimakatastrophe stürzt, müssen wir unsere spirituelle Kraft wieder auffrischen.


Wir müssen gegen die Gleichgültigkeit, Lethargie, den Pessimismus, die Gier und Rücksichtslosigkeit gegenüber unserer Welt und unserem Planeten ankämpfen. Theater spielt eine Rolle, eine edle Rolle, indem es die Menschheit stärkt und antreibt, sich aus dem Abgrund, in den sie sinkt, zu erheben. Es vermag die Bühne und den Spielort zu etwas Heiligem zu machen.


In Südasien berühren Künstlerinnen ehrfürchtig den Bühnenboden, ehe sie ihn betreten, eine uralte Tradition aus Zeiten, als das Spirituelle und das Kulturelle noch eng verbunden waren. Es wird Zeit, diese symbiotische Beziehung zwischen Künstlerinnen und Publikum, zwischen Vergangenheit und Zukunft zurückzugewinnen. Theatermachen kann eine heilige Kunst sein, und die Schauspielerinnen können sehr wohl die Avatare der Rollen werden, die sie spielen. Theater erhebt die Schauspielkunst auf eine höhere, spirituelle Ebene. Theater vermag ein Schrein zu werden, und der Schrein ein Theaterraum.


Den vollständigen Text finden Sie auf der Website des ITI unter https://www.iti-germany.de/ (Übersetzung vom englischen Original ins Deutsche: Henning Bochert, mit kleinen Anpassungen der gekürzten Fassung von Rainer Glaap, Bremen)

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